Jan Holtmanns Recherche, Workshop und Rückblick

[Sie wollen direkt zum aufgezeichneten Nachgespräch zwischen Gastkünstler Jan Holtmann und Akademie-Projektleiter Thomas Kaestle gelangen? Dann klicken Sie bitte hier.]

Ja Holtmanns Besuch der Jesteburger Bürger*innen-Akademie für Kunst in öffentlichen Räumen für einige Tage Recherche und einen öffentlichen Workshop im November hat eine Vorgeschichte, bei der es bereits um ein Aktivieren und Einbinden von Menschen vor Ort ging: Schon bei der Akademie-Eröffnung im September knüpfte der Hamburger Künstler erste Kontakte, sammelte Telefonnummern und Visitenkarten und bat darum, weiterzusagen, dass er nach Übernachtungsmöglichkeiten suche. Er wollte die ihm zur Verfügung gestellte Künstlerwohnung bewusst nur als Rückzugsort und Arbeitsraum nutzen. Für Abende, Nächte und Früchstücke setzte er gezielt auf die Gastfreundschaft der Jesteburger*innen.

[Der Künstler Jan Holtmann aus Hamburg bei seinem Workshop im Schützenhaus Jesteburg.]

Der Plan ging größtenteils auf, Holtmann fand Gastgeber*innen – und damit zugleich Menschen, die sich mit ihm in Ruhe unterhielten, ihm von Jesteburg erzählten, von Annehmlichkeiten und Problemen, von Standortfaktoren und Defiziten, von sich und von anderen Anwohner*innen. Holtmanns offizielles und inoffizielles Wissen über seinen Aufenthalt wuchs. Und damit wuchs auch eine Sammlung von Anekdoten, Zuschreibungen, Perspektiven, Gerüchten und Bezügen – oft handelte es sich gar nicht um harte Fakten, sondern eher um Atmosphären, Gefühle, Einschätzungen oder Annäherungen. Hinzu kamen zwei offene Treffen im öffentlichen Raum, zu denen der Künstler ganz unspezifisch einlud, Zusammenkünfte und Gelegenheiten zum Austausch.

Außerdem nahm er Kontakt zur örtlichen Schule auf, um anzubieten, sich in den Unterricht einzubringen: Mit einer siebten Klasse diskutierte er schließlich über Kunst im öffentlichen Raum. All dies war nicht Holtmanns Auftrag. Eingeladen war er, wie alle anderen Gastkünstler*innen der Akademie auch, sich einige Tage lang in Jesteburg umzusehen, die Gemeinde, ihre Orte und Räume auf sich wirken zu lassen. Es sollte um Recherche, Brainstorming und eine Annäherung auf seine ganz eigene Art und Weise gehen – um seine individuelle Herangehensweise als Künstler und darum, diese in einem abschließenden Workshop greifbar werden zu lassen.

Dabei hatte er völlige Freiheit. Sich Jesteburg über Gastgeber*innen, Gastfreundschaft, Gespräche, Treffen und Begegnungen zu erschließen, war also genau dies: Holtmanns Methode und damit bereits ein erster Teil eines künstlerischen Prozesses. Er spricht darüber auch im Video/Audio am Ende dieses Beitrags – über den Unterschied, den es macht, als Künstler und Außenstehender Fragen zu finden und zu stellen, Gespräche und Auseinandersetzungen zu moderieren.

Am Anfang des Workshops geht es jedoch zunächst ganz unkommentiert und unvermittelt um das Anfangen. Später stellt sich heraus, dass dabei auch die Unmöglichkeit von Leere und Neutralität gemeint ist, der Umstand, dass einem Anfang immer etwas vorangeht, dass immer schon etwas da ist, auf das es gilt, zu reagieren. Holtmann aktiviert seine Teilnehmer*innen, erteilt ihnen Aufgaben zum Thema, lässt sie schreiben und zeichnen. Gleich die erste kurze Übung resultiert in einer kleinen Ausstellung der Ergebnisse, für die der Gastkünstler auch bereits eine Eröffnungsrede vorbereitet hat: „ohne die Ausstellung zu kennen“. Es geht dabei – wie könnte es anders sein – um Anfänge. „Nur durch die Worte ‚die Ausstellung ist hiermit eröffnet‘ ist die Ausstellung eröffnet, nichts sonst hat sich geändert“, sagt Holtmann und verweist auf Anfangssituationen als bewusste Setzungen.

„Der Anfang entrinnt uns, wenn wir versuchen, ihn zu fassen“, gibt Holtmann zu bedenken. Und fügt an: „Die Grundlage hat ja auch immer einen Grund.“ Dann sollen alle schreiben – eine „Ode an das weiße Blatt Papier“. Um eine „Herausforderung zu einer neuen Idee“ geht es den Workshopteilnehmer*innen dabei zum Beispiel, um „Respekt vor der Zerstörung der Unberührtheit“, um „ein wunderbares Gefühl der Freiheit“, Bedeutung und „Raum für Möglichkeiten. Und schließlich um eine Drohung: „Gleich bist Du voll!“

Es folgt jedoch vor allem die Erkenntnis, dass es so etwas wie „leer“ eigentlich gar nicht gibt. Holtmann fasst es so zusammen: „Die Fläche, die einmal einen Text tragen könnte, trägt schon einen Text, wenn man genau hinschaut, birgt Knicke, Punkte, Details, Strukturen. Es gibt keine Fläche ohne Text, es ist immer schon etwas da.“ Einerseits seien Betrachter*innen also dazu herausgefordert, genau hinzusehen, andererseits dazu, Entscheidungen zu treffen: „Was blende ich aus, was ergänze, was verändere oder überschreibe ich – und ist mein Text wichtiger als der, der schon da ist?“ Schritt für Schritt wird die Bedeutung der Analogie deutlich: Ein solches bewusstes Anfangen mit allen Konsequenzen und Überlegungen steht am Anfang jeder künstlerischen Auseinandersetzung, jedes künstlerischen Prozesses – gerade in öffentlichen Räumen, die eben keine neutralen Museumsräume sind.

Dabei ist gerade in Ausstellungsräumen die Herausforderung eher, keine Kunst zu machen. Holtmann erzählt von Marcel Duchamp und vom kunsthistorischen Bruch seiner Ready-mades, die er auch „Fertigstücke“ nennt. Werden sie zur Kunst, indem sie ins Museum wandern? Oder durch eine Signatur? Schließlich stelle sich, so Holtmann, die Frage: „Wie zeigt man in der Kunst, dass man nichts gemacht hat?“ Als Beispiel dient die Komposition 4:33 von John Cage. Holtmann kommentiert: „Stille gibt es nicht. Man hört immer etwas.“

Anfangen sei also immer auch ein Bruch mit dem, was zuvor schon da war, so Holtmann, die Definition eines Zeitpunktes oder Zustands, eine Tätigkeit, die eine bestimmte Haltung und Herangehensweise erfordere. Es folge die Frage: „Was fängt man sich ein, wenn man anfängt?“ Holtmann bezieht das auch auf seinen Aufenthalt in Jesteburg: „Hier leben ja Menschen, es entstehen also Orte und Räume, wenn ich mit denen in Kontakt trete.“ An einer solchen Form von Öffentlichkeit sei er immer schon interessiert gewesen – und daraus resultierend an der Frage: „Wie kann oder muss man das präsentieren?“ Denn ohne dass Kunst gezeigt werde, sei sie nicht fertig. Deshalb frage seine noroomgallery bzw. Galerie ohne Raum in Hamburg als explizit künstlerisches Projekt vor allem nach immer neuen, jeweils angemessenen Präsentationssituationen.

Unter den eigenen Projekten, die Holtmann vorstellt, ist auch Hotel Hamburg – Das größte Hotel der Stadt aus dem Jahr 2014, bei dem er Hamburger*innen aufforderte: „Reist in der eigenen Stadt, indem Ihr Eure Wohnungen tauscht.“ Holtmann sagt dazu: „Das war keine Hardware, sondern eine Software, die Formen von Öffentlichkeit erzeugte.“ Ihm gehe es immer auch um eine „Kunst im öffentlichen Interesse“, das impliziere ein Weiterdenken von Situationen: „Neue Formen von Kunst stellen tradierte Formen infrage.“ Seinen Hamburger KunstHasserStammTisch begreift Holtmann seit 2006 als „Plattform für performative Kunstkritik“.

Auch seine Jesteburger Recherche in Form von Übernachtungen bei ihm bislang fremden Menschen sieht Holtmann im Sinne einer Herausforderung und Entwicklung: „Ich wollte etwas machen, das nicht alltäglich ist, etwas, das ich noch nie gemacht hatte.“ Außerdem habe er sich immer wieder gefragt: „Wie gehen Kunst und Öffentlichkeit in Jesteburg zusammen?“ Das habe zu weiteren Fragen geführt: „Welche Bedeutung hat ein Kunstort, dem Öffentlichkeit egal ist, der sich nur für Kunst interessiert?“ Oder: „Spielt es für autonome Kunst eine Rolle, ob jemand den Raum betritt und sich etwas anschaut?“

Bei seinem Schulbesuch habe er der Klasse dann unter anderem vom Begriff der Drop Sculptures erzählt, so Holtmann, die oft abfällig für autonome Kunst in öffentlichen Räumen benutzt werde, weil diese aussehe, als sei sie vom Himmel gefallen und zufällig irgendwo stehen geblieben. Das wurde zur Zeichenaufgabe für die Schüler*innen. In den Ergebnissen fällt zum Beispiel ein Hamburger auf Jesteburg (das Gericht, kein Mensch aus Hamburg), der laut Holtmann aussieht, als sei er eine Plastik von Claes Oldenburg. Die Vision von einem überdimensionalen Kartoffelobjekt, das zwischen Oberschule und Grundschule fortwährend Pommes ausspuckt, stößt schließlich auf staunende Zustimmung. „Warum habt Ihr mich überhaupt nach Jesteburg geholt?“, fragt Holtmann scherzhaft.

Schließlich präsentiert die künstlerische Pommesmaschine bereits eine ziemlich ungefilterte Antwort auf die Frage, die der Hamburger Künstler den Jesteburger*innen eigentlich mitgebracht hat: „Was feht in Jesteburg?“ Schließlich könne Kunst im öffentlichen Raum heute alles sein. „Was soll sie hier sein?“ fragt Holtmann. Oder, bezogen auf den Workshop-Anfang über das Anfangen: „Was fügen wir dem Blatt hinzu, das eben niemals leer ist?“

Nachgespräch

Etwa zwei Wochen nach Jan Holtmanns Workshop traf er sich mit Akademie-Projektleiter Thomas Kaestle zu einem digitalen Nachgespräch. Für die Teilnehmer*innen des Workshops ergibt sich hier möglicherweise die eine oder andere Vertiefung, Verortung oder Reflexion. Vor allem ist die Aufnahme aber ein Angebot an all jene, die nicht zum Workshop mit Jan Holtmann kommen konnten oder wollten: Sie haben hier Gelegenheit, den Gastkünstler mit seinen Herangehensweisen, Strategien, Ideen, Hintergründen und Erlebnissen kennenzulernen. Wie geht er mit öffentlichen Orten um, was interessiert ihn daran, welche Kunst entspricht seinen Schwerpunkten?

Unter diesem Absatz finden Sie das Nachgespräch als Video- und als Audiomitschnitt. Sie entscheiden selbst, ob Sie nur hören wollen oder dabei die Gesprächspartner auch sehen wollen.

[Video: Nachgespräch mit Gastkünstler Jan Holtmann.]
[Audio: Nachgespräch mit Gastkünstler Jan Holtmann.]

[Alle Fotos: Sophie Casna.]

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